andcompany&Co., Lenz und die Energie des Wahnsinns

Krystian Woznicki, Berliner Gazette, 2011-01-10

Was passiert, wenn Berlins hippstes Theaterkollektiv eine Genie-Satire aus dem Sturm und Drang auf die Bühne bringt? Das Ergebnis ist derzeit im Hebbel-Theater zu sehen. Krystian Woznicki ist hingegangen und hat sich den Energiestößen des Wahnsinns ausgesetzt.

Soviel vorweg: Pandämonium Germanikum ist ein hochinteressanter, hochbrisanter Stoff, 1775 entstanden, doch erst 1819 erschienen. Eine Genie-Satire, die in der Halbgötterwelt der Schriftsteller und Künstler spielt. Verfasst von dem Madman des Sturm und Drang, dem Vorkämpfer eines neuen Dramas: Jakob Michael Reinhold Lenz, der auch selbst darin auftritt – als er selbst. Heute wird der Schriftsteller Lenz überschattet von der literarischen Figur Lenz, u.a. infolge von Georg Büchners nach ihm benannter Erzählung.

Goldgrube für die Gegenwart

Allein hier schon deutet sich an: Der Konnex Pandämonium Germanicum/Lenz strotzt vor Reichtum. Ein wahrer Schatz. Eine Goldgrube. Wir müssen andcompany&Co. dafür danken, uns den Zugang dazu eröffnet zu haben. Die Theatergruppe aus Berlin hat sich dieses Stoffes angenommen und ihn in “Pandämonium Germanikum: Lenz im Loop” auf die Bühne des Hebbel Theaters gebracht.

Wer die Theatergruppe ein bisschen kennt, der weiss: 1) die Mitglieder müssen Luftsprünge gemacht haben, als sie den Stoff für sich entdeckten, so sehr passt er in das experimentelle Arbeiten ihres dekonstruktiven Theaters. Der weiss also auch: 2) das ist nicht irgendein Projekt der Gruppe, es ist etwas ganz Besonderes. 3) Inhaltlich kommt hier einiges zusammen, dass der Gruppe einerseits Kontinuität ermöglicht (Thema: Deutschland, deutsche Kulturgeschichte, etc.), andererseits aber auch den Vorstoß auf Neuland: Sturm und Drang. Bislang hat sich andcompany&Co. überwiegend im 20. Jahrhundert ausgetobt.

Ja, ausgetobt. Jedoch nicht nur das. Toben UND Theoretisieren – diese beiden vermeintlich unvereinbaren modi operandi beschreiben das ästhetische Programm der Gruppe. Bei “Lenz im Loop” wohl mehr denn je. Toben und Theoretisieren heißt hier vermeintlich kopfloses, infantiles Drauflosspielen, bis zur Schmerzgrenze. Gleichzeitig jedoch auch hochintelligent, hochtourig ratio-getrieben drauflossezieren und -dozieren, auch hier ohne Rücksicht auf Verluste.

Über den Verstand hinausgehen

Auf diesem schmalen Grat entsteht eine besondere Energie, vielleicht das wichtigste, was andcompany&Co. auf der Bühne produzieren. Energie, die auf eine ganz andere Weise körperlich spürbar ist als bei einem psychologischen Theater, das den Zuschauer identitär an Helden bindet und infolgedessen Hand in Hand durch Dick und Dünn gehen lässt.

In andcompany&Co.-Stücken ist die energetische Verbindung zwischen Publikum und Bühne weitaus abstrakter, weniger greifbar, schwerer, wenn nicht unmöglich in Worte zu fassen – entladen kann sie sich im Zwerchfell oder einem plötzlichen Aufschrei der Freude oder Ungläubigkeit.

“Lenz im Loop” lebt von einer solchen Energie – sofern “leben” immer auch erschöpfen, verbrauchen und selbstzerstören bedeutet. Immerhin, es ist die Energie des Wahnsinns, die hier im Spiel ist, die die zugleich kopflosen und verkopften (aber niemals kopflos-verkopften) Figuren aufeinander übertragen: von Lenz über Baader bis Meese.

Den exklusiven Zirkel aufbrechen

Wahnsinn als produktive Größe, Wahnsinn als etwas, das uns alle im positiven Sinne reich macht und weiterbringt. Wahnsinn als negative, dumm machende Naturgewalt. Es sind die zwei Seiten der Medaille Sturm und Drang: einerseits über die Aufklärung hinausweisend, andererseits dahinter zurückbleibend, im modrigen Lagerraum des Bewusstseins. Fortschritt vs. Regression? Dynamik vs. Stillstand? Schöpfung vs. Zerstörung? So oder so: “Lenz im Loop” zieht weite Kreise bis in die aktuellste Gegenwart, bis nach Berlin-Mitte hinein. Bis in das Herz der Kultur-Republik Deutschland, die nicht ohne eine Halbgötterwelt der Lichtgestalten auskommt.

Die satirische Kraft des Originals wird mit der rituellen Wucht einer Teufelsaustreibung über- und freigesetzt. Ob Goethe oder Schlingensief: Unser Genie-Kult, der weder auf den Gebirgskämmen Berlins, noch in den Niederungen des Kulturprekariats besonders lautstarken Widerstand erfährt, bekommt mit “Lenz im Loop” eine Beule. Die Tür des exklusiven Clubs geht jetzt nicht mehr richtig zu.

Was bislang unter Verschluss stand – es geht immerhin um das Selbstverständnis der Nation – bekommt so einen Zugang. Wohlgemerkt, und da gibt es in den Reihen der Theaterkritik offenbar noch Aufklärungsbedarf, einen unbequemen Zugang. Unbequem, weil hier Zugang nicht gleich Dazugehören und Verstehen bedeutet. Sondern sich selbst und seinen Sehnsüchten nach kultureller Größe begegnen.
 

Berliner Gazette

1776: Das Ende des 'freien Theaters' in Teutschland

Alex Karschnia, alextext.wordpress.com, 2011-01-13

1776: Zeit der Entzweiungen, Zeit der Gründungen: Die nordamerikanischen Kolonien machen sich unabhängig, Goethe läßt seinen Dichterfreund Jakob Michael Reinhold Lenz ausweisen. Die beiden haben sich 1771 in Straßburg kennen gelernt: Goethe hatte dort studiert, Lenz ist als bezahlter Begleiter von zwei Offizieren gekommen. Es ist die Zeit des Sturm & Drang und Straßburg das Zentrum dieser ersten deutschen Jugendbewegung. Lenz wird Vorsitzender einer literarischen Gesellschaft und macht Anmerkungen zum Theater: „Der Vorwurf einiger Anmerkungen, die ich auf dem Herzen habe, soll das Theater sein.“ Kurz hintereinander erscheinen die Dramen Götz von Berlichingen von Goethe und Der Hofmeister von Lenz, eine Tragikomödie, dessen happy end in der erfolgreichen Selbstkastration der Hauptperson besteht. Das Stück wird von der Kritik hoch gelobt – und für das Werk „unseres teutschen Shakespeare’s Dr. Göthe“ gehalten. 1775 schreibt Lenz die Satire PANDÄMONIUM GERMANICUM, in der er zusammen mit Goethe einen ‚steilen Berg’ besteigt, eine Art ‘Parnass der teutschen Poesie’. Dort treffen sie eine Menge Kollegen, die nach Strich und Faden karikiert werden. Wenig später lädt Goethe Lenz nach Weimar ein, wohin er selbst als ‚Erzieher’ des jungen Herzogs gezogen ist. Außer Goethe sind dort Wieland & Herder, mit Lenz treffen die Stürmer & Dränger Klinger & Kaufmann ein. Eine Weile gehen die wildesten Gerüchte über das „Genie-Treiben“ in Weimar um. Während Goethe zum Geheimrat ernannt und Mitglied der Regierung wird, verlässt Klinger die Stadt und zieht Lenz in den Wald und haust dort wie ein Hippie. Zweimal erwähnt Goethe in seinem Tagebuch „Lenzens Eseley“. Während die erste noch ein „Lachfieber“ in der höfischen Gesellschaft ausgelöst hat, führt die zweite zum Bruch zwischen Goethe & Lenz: Goethe lässt Lenz aus der Stadt ausweisen: Lenz wird „ausgestoßen aus dem Himmel als ein Landläufer, Rebell, Pasquillant“. Kurze Zeit später kommt es bei Lenz zu schizophrenen Schüben, die von seinem Gastgeber, dem Pfarrer Oberlin protokolliert worden sind. Diese Aufzeichnungen fallen über fünfzig Jahre später dem jungen Georg Büchner in die Hände, der vor polizeilicher Verfolgung nach Straßburg geflohen war. Auf dieser Grundlage schreibt er die Novelle LENZ: „Am zwanzigsten Jänner ging Lenz durchs Gebirg’…“ Kurz darauf starb Büchner im Exil in Zürich in derselben Straße, in der während des Ersten Weltkriegs der russische Exilant Uljanow, genannt Lenin wohnen wird in unmittelbarer Nachbarschaft zum Cabaret Voltaire, der Geburtsstätte des Dadaismus.

1971 brachte sich Bernward Vesper um, kurz nachdem er aus der Psychiatrie entlassen wurde. Wie Büchners LENZ blieb auch sein autobiographischer Roman Die Reise ein Fragment. Darin beschreibt er sowohl seine politische Reise als auch seinen LSD-Trip. Zusammen mit seiner Verlobten Gudrun Ensslin war Ende der 60er nach West-Berlin gezogen, wo sie aktiv an den politischen Ereignissen jener Zeit teilnahmen. Bei der Vorbereitung zur symbolischen Sprengung der Gedächtniskirche traf Gudrun Andreas Baader. Kurze Zeit später ging sie mit ihm auf eine Reise ohne Wiederkehr: In Frankfurt/M. verübten sie im April 1968 zwei Kaufhausbrandstiftungen, die sie zu den bekanntesten ‚politischen Gefangenen’ jener Jahre machten. Kurz nach ihrer Haftentlassung tauchen sie unter und gründen die RAF. Vespers Fragment wurde 1976 posthum veröffentlicht: Der Prozess gegen die sog. ‚Baader-Meinhof-Bande’ beschäftigte die Gemüter. Am 9. Mai 1976 war Ulrike Meinhof erhängt in ihrer Zelle aufgefunden worden. Ein Jahr später überschlagen sich die Ereignisse, die zum sog. ‚Deutschen Herbst’ und der ‚Todesnacht von Stammheim’ führen (Ermordung von Buback, Ponto, Schleyer-Entführung, Kidnapping der ‚Landshut’). Vespers Roman wurde in den folgenden Jahren zum Kultbuch und gilt heute als „Nachlass einer ganzen Generation“. Letztes Jahr hat Felix Ensslin, der Sohn von Gudrun & Bernward, den Briefwechsel der beiden herausgegeben: „Notstandsgesetze von Deiner Hand“ Briefe 1968/69. Ein paar Jahre zuvor war von Gerd Koenen das Buch erschienen: Vesper Ensslin Baader. Urszenen des deutschen Terrorismus. Demnächst kommt Andres Veiels Film über Vesper & Ensslin ins Kino: Wer, wenn nicht wir.

„Unsere Geschichte mag zehnmal zuende sein, die Geschichte ist es nicht.“ (Gudrun Ensslin an Bernward Vesper. Frankfurt-Preungesheim, 19. April 1968)

Dass die Geschichte zu Ende sei ist ein Mantra, das wir nun seit bald dreißig Jahren zu hören kriegen. Für viele politische Aktivisten war Stammheim dann auch nicht nur das Ende ihrer Geschichte als politisch Aktive, sondern das Ende der Geschichte. Doch nicht nur RAF-Sympathisanten wie Peter Brückner, sondern auch rechtskonservative Intellektuelle wie Arnold Gehlen verkündeten damals die ‘Post-Histoire’. Es folgten die 80er – eine in jeder Hinsicht merkwürdige Übergangsphase. Aus der Sicht der radikalen Linken eine „Konterrevolution“ (Paolo Virno). Sie begann mit der Wahl von Margret Thatcher 1979, Ronald Reagan 1980 und Helmut Kohl 1982. In Deutschland hieß diese „Konterrevolution“ ‘geistig-moralische Wende’, in den USA ‘Reagonomics’, in UK ‘Thatcherism’. Es war nicht nur eine autoritäre Wende in der Politik, sondern auch der Beginn einer fundamentalen Umstrukturierung der Wirtschaft. Zugleich begannen die 80er mit der Gründung der Grünen, den Häuserkämpfen in West-Berlin, Hamburg, Amsterdam etc. Die ‘Alternativkultur’ breitete sich aus als Netzwerk besetzter Häuser, selbstverwalteter Jugendzentren, Kollektivbetriebe, etc. Ein nicht unwichtiger Strang dieses Netzwerks war das sog. ‘freie Theater’. Die Behauptung dieses Beitrags ist, dass dieses sog. ‘freie Theater’ nicht nur eine enge Verbindung zum Jahr 1976 hat, sondern ebenso zum Jahr 1776 – in negativer Hinsicht. Denn was in jenem Jahr nicht seinen Anfang nahm, war das Volkstheater, das sich J.M.R. Lenz vorgestellt hatte – heute würden wir es mit -x schreiben – was stattdessen begann war jener faule Kompromiss zwischen Bürgertum und Adel, den sowohl der Staat als auch das Staatstheater unsrer Zeit prägt. Das ‘Volxtheater’ sollte alle Stände umfassen, niemanden ausschließen und der Gesellschaft einen wahrhaften Spiegel vorhalten – auch jene „Kleinen“, denen Lenz später ein Stück widmete. Doch ein solcher ‘sozialer Realismus’ wurde mit der Ausweisung von Lenz ausgetrieben, stattdessen begann das Zeitalter der Repräsentation: Der Spiegel lügt. Es ist jener Zerrspiegel, der auch heute noch unsre Parlamente und die öffentliche Sphäre prägt: Ein Zauberspiegel, der nicht nur das zeigt, was da ist, sondern auch verbirgt, was nicht da sein soll. In unsern Tage sind das die „Gespenster der Migration“ (Mark Terkessides) – doch zu Gespenster werden sie erst in diesem Spiegel, der aus Sichtbaren Unsichtbare, aus Unsichtbaren Sichtbare macht: Die Macht, Lebendige in Tote und Tote in Lebendige zu verwandeln. Lenz’ Anmerkungen zum Theater sind Kratzer auf diesem Spiegel. Doch Goethe’s Verdikt gegen Lenz ist bis heute lebendig geblieben. Deswegen kann das sog. ‘freie Theater’ nicht auf Lenz verzichten. Brecht hat das ganz genau gewusst. Hier sehen wir das ‘ABC der teutschen Misere’ durchbuchstabiert: Wie der junge Bürger vom Adel so lange geknechtet, gequält, gepiesackt wird, bis er sich selbst kastriert. Dann ist er soweit, wem auch immer zu dienen: dem Staat, dem Kaiser oder dem Führer. Dieselbe Knechtseligkeit steckt noch im Wort ‘Dienstleistung’, jenem Fluch unsrer Tage. Bleibt: die Tat. „Handeln, handeln, handeln, das ist die Seele der Welt, dass diese unsere handelnde Kraft nicht ruhe, nicht ablasse zu wirken, zu regen, zu toben, bis sie uns Platz verschafft, Platz zu handeln – und wenn es das Chaos wäre, Freiheit wohnt nur hier!“ (Lenz über Götz von Berlichingen) Genau das warSchlingensiefs Schlachtruf: „Handeln handeln handeln, helfen helfen helfen!“ Erst wenn das Tun und das Tun-als-Ob nicht mehr zu unterscheiden sind, erst wenn niemand mehr sicher sagen kann, was ist und was nicht, dann haben wir eine Chance! Tun wir so, als ob wir nur so täten, dass wir was tun würden – aber tun wir was ! Wer, wenn nicht wir…

alextext.wordpress.com

„Handeln! Handeln! Handeln!“

Katja Grawinkel, schoenschrift.org, 2011-01-25

Perücken-Politik auf Berliner Bühnen

Es ist natürlich Zufall, wenn man in einer Woche in zwei Theatervorstellungen sitzt und in beiden fällt auf der Bühne einer Schauspielerin die voluminös gepuderte Perücke vom Kopf. Auf den ersten Blick verbindet die beiden Abende nicht viel. Im Maxim Gorki Theater gibt es „Der Geizige“ nach Molière, neu getextet vom Dadaisten unter den Antikapitalisten, PeterLicht. Den Komödien-Klassiker im neuen Gewand. „Wir befinden uns am Anfang des dritten Jahrtausends.“ – Und alle so: Hä? Im Hebbel am Ufer laden die Post-Anarchisten von Andcompany&Co. in den deutschen Tempel des Ruhms, wo sie hinter zwei Vorhängen Goethe mit Goebbels, Baader mit Bleibtreu und Jux mit Dollerei verquirlen. Es funktioniert: „Pandämonium Germanicum: Lenz im Loop“.

Beiden Abenden fehlt es weder an Wort- noch Bildgewalt und trotzdem bleibt jeweils der Perückenmoment hängen. Ein kurzes Aufmerken und die Frage: Absicht oder Fauxpas? Und weil man weiß, dass im Theater nur wenig dem Zufall überlassen wird, kommt man zu dem Schluss, dass weder Hilke Altefrohne im „Geizigen“ noch Alexander Karschnia von Lenz&Co. die Haarpracht aus Versehen abhanden gekommen ist.

Wenn erstere sich als Elise in Zuckungen ergeht, bis der barocke Kopfputz über den Bühnenrand fliegt, dann ist das das äußerste Zugeständnis an die Kontingenz in Jan Bosses akribischer Inszenierung. Hier geht auch dem Letzten auf, dass Hilke nicht Elise und Repräsentationstheater von gestern ist. Es ist die sichtbare Geste für all jene, die den flapsigen Kommentar Peter Kurths als Harpagon („Heute läuft’s aber irgendwie nicht“) und den schmerzhaften Knall überhört haben, mit dem Robert Kuchenbuch (und doch nicht Cléanthe!) auf dem Hintern gelandet ist. Bühne frei für die Differenz zwischen Schauspieler und Rolle, die Distanz, die zwischen das Gespielte und sich selbst zu bringen die hohe Kunst des zeitgenössischen Schauspielers ist. Ganz im Gegensatz zu früheren Bühnenidealen – und zum Film – wo das psychologische Einfühlen in die Rolle, ja, das Verschmelzen mit ihr, oberste Prämisse ist. Statt Läuterung durch Mitgefühl erfährt das Publikum in dem Moment, in dem der Darsteller aus seiner Rolle tritt, das Miteinander im Theatersaal. Die Bedeutung vermittelt sich nicht mehr ausschließlich über Figuren und dramatische Handlung. Sie entsteht vielmehr als eine Bewegung zwischen den Anwesenden im Hier und Jetzt der theatralen Situation. Das gibt den Akteuren ihren Handlungsspielraum zurück und dem Zuschauer seine Verantwortung. „Ästhetik des Performativen“ nennt es die Berliner Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte. Doch ein anderer Terminus hat sich durchgesetzt: „Postdramatisches Theater“, nach Hans-Thies Lehmanns gleichnamigem Buch von 1999.

Inzwischen haben sich längst auch die großen Bühnen diese Entwicklung, die eher von den Rändern der Bühnen- und Performancekunst stammt, zu eigen gemacht und man könnte boshaft behaupten, dass es zum guten Ton gehört, hier seine Perücke zu verlieren. Oder Schlimmeres. Denken wir an die Nackten, die alle paar Wochen ein Premierenpublikum vergrätzen… Solche Momente von Präsenz laufen Gefahr zur ästhetischen Fingerübung zu werden, deren Relevanz im Rahmen der Vorstellung sich nicht recht erschließt, geschweige denn ihr politisches Potential. So leider auch im „Geizigen“ von Bosse/PeterLicht/Molière.

Und wie verhält es sich mit Haarteil Nummer 2? Bei Andcompany&Co., wo ohnehin kein Fetzen des pompösen Kostüm- und Bühnenbildes an seinem Platz bleibt, hält man sich, nur weil Lenz’ „Pandämonium Germanicum“ im Titel schwirrt, noch lange nicht mit dramatis personae auf. Andreas Karschnia spielt keine Rolle, also kann er auch nicht enttarnt werden. „Echte Menschen, die sich selbst entäußern! Sich selbst spielen! Es gibt keine Künstler mehr!“ So einfach ist das? Aber selbstverständlich nicht. Und schon gar nicht, wenn das Komplexitäts-Kollektiv Andcompany&Co. am Werk ist, das immer zuerst das eigene Tun auf der Bühne ironisch hinterfragt. Hier geht die Rechnung so: Wenn der Mensch, der auf der Bühne eine Perücke trägt, selbige verliert, dann bleibt der Mensch auf der Bühne. Und der ist nie authentisch, egal ob Künstler oder nicht. Von ihm kann man absolut nichts wissen. Nicht dass man es – in Zeiten von „Wetten das?“ und „Dschungelcamp“ – tatsächlich will.

Andcompany&Co. haben die postdramatische Schraube im Gewinde des deutschen Kulturbetriebes weitergedreht. Hier mauserte sich schon Goethe vom Stürmer und Dränger zum deutschen Klassiker. Keine echte Kulturrevolution, die nicht einen Fernseh-Zweiteiler hergäbe. Kein wirklich Gestürzter, der nicht anschließend zum Medien-Star avanciert. Mittendrin tragen Andcompany&Co. die Logos ihrer Förderer wie Superheldenembleme auf die Kostüme geflickt. Sie schlagen die Hoffnung auf Authentizität und kritische Kunst zusammen mit dem Glauben an die Verantwortung des Zuschauers in den Wind. Und zwar mit Pauken und Trompeten! Sie sind die Quälgeister, nach denen die alternative Kulturszene rief, das wissen sie genau und machen keinen Hehl daraus. Und so bleibt ihr „Handeln! Handeln! Handeln!“ zwar in der Luft hängen, aber man kann sich nie sicher sein, ob es nicht doch vielleicht ernst gemeint war – so ein kleines bisschen jedenfalls.

schoenschrift.org

Zwei Klassikeradaptionen von andcompany&Co im Berliner HAU

Stefan Bock, blog.theater-nachtgedanken.de, 2011-01-09

FatzerBraz – andcompany&Co versuchen sich den heiligen Bertolt Brecht einzuverleiben

Bereits Ende Oktober des letzten Jahres gastierten andcompany&Co und einige brasilianische Mitstreiter mit einer Version von Brechts „Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer“ im HAU 3. Die Inszenierung hatte auf dem Theaterfestival in Sao Paulo im August Premiere und ist eine Annäherung an das Prinzip der brasilianischen „Anthropophagia” der „Verspeisung des heiligen Feindes” nach dem Manifesto Antropófago (1928) von Oswaldo de Andrades, um sich durch auffressen und verdauen die kreative Energie des Gegners anzueignen und diese selbst wiederum kreativ zu nutzen.
Die Frage nach dem Fressen und der leidigen Moral hat ja in Brechts Texten eine gewisse Bedeutung und so liegt es nahe, den eigensinnigen Fatzer mit den brasilianischen Urmythen wie der des „Macunaima“ des Schriftstellers Mario de Andrades kurzzuschließen. In Südamerika sind ja die Revolutionäre reinste Volkshelden und so tragen die Protagonisten zu südamerikanischen Klängen Masken von Che Guevara, Ulrike Meinhof, brasilianischen Stars und Sternchen sowie Angela Merkel, Bastian Schweinsteiger und natürlich Brecht selbst vor sich her.
Die von den Schlachtfeldern des 1. Weltkrieges desertierte Panzerbesatzung sitzt zu Beginn in einem grünen Planenmonstrum aus dem Arme, Beine und Köpfe herausschauen können. Ansonsten erinnert hier nicht sehr viel an den eigentlichen Ort das Geschehens, die Stadt Mühlheim. Alles wirkt eher sehr exotisch mit Palmen und Tiermasken. Das ist alles sehr erfrischend und lustig anzusehen, letztendlich können andcompany&Co dem Stoff aber nicht viel neues abgewinnen. Der Egoist Fatzer geht den vorbestimmten Weg, weg von den revolutionären Plänen hin zu den Fleischtöpfen. Den Kameraden in ihrem Pappkartonkellerloch hängt er Knochen und Würste vor die Nase. Am Ende verschwindet Fatzer in einem großen Pappmachemaul, leicht verdauliche Kost ohne lästiges Sodbrennen.

Lauter Vater-Sohn-Traumata in teutschen Landen – Die Bearbeitung des „Pandämonium Germanicum“ der andcompany&Co ist nicht bloß eine lenz’sche Eseley

Wer die Szenische Skizze in drei Akten von Jakob Michael Reinhold Lenz, 1775 entstanden, aufführen will, muss dafür schon einen triftigen Grund haben. Vor allem füllt das Stück keinen ganzen Abend. Deshalb schließen die Akteure von andcompany&Co den Goethe-Apologeten Lenz mit einem anderen Möchtegern-Künstler kurz, dem 68er Rausch- und „Reise“-Autor Bernward Vesper, Ex-Geliebter der RAF-Aktivistin Gudrun Ensslin. Vesper hatte an seinem Übervater und Nazidichter Will Vesper zu leiden und sich in seinem Werk versucht von ihm zu emanzipieren. Lenz versuchte mit seiner Satire „Pandämonium Germanicum“ Goethe auf einen Berg zu heben und die Nachahmer von französischen und englischen Vorbildern als Philister zu geißeln. Die Journaille kommt dabei auch nicht gut weg. In einem Tempel des Ruhms treffen alle aufeinander, um letztendlich verspottet zu werden und in Goethe und Lenz die Vorkämpfer des neuen Dramas zu sehen.
Bei andcompany&Co findet das auf einer Bühne mit rotem Vorhang und in historischen Kostümen statt. Goethe ist eine Frau und Lenz alias Vesper ist Maler im Blaumann und um Eigenständigkeit bemüht. Es gibt Bücher so groß, das man in ihnen verschwinden kann und unter ihnen begraben wird. Das Licht wird an und aus geknipst, die Vorbilder aus Kunst, Kultur und Politik tanzen wie in einem Horrortrip durch 200 Jahre Reliquienverehrung mit Figuren wie Shakespeare, Goethe, Schiller, Kleist, Wieland, Lessing, Kafka, Hitler, Bader, Enslin und Vesper an uns vorbei.
Haben andcompany&Co in Fatzerbraz beim Versuch sich Brecht einzuverleiben, den Klassiker noch fast unverdaut wiedergekäut, so entwickeln sie beim durch den Zitat-Wolf drehen von J M R Lenz und all seiner neuzeitlichen Pendanten ein gewaltiges Assoziationsfeuerwerk. Nach dem Motto Handeln, Handeln, Handeln ziehen andcompany&Co hier kongenial Parallelen durch die deutsche Geschichte und schlagen den Bogen der deutschen Heldenverehrung und deren Vaterfiguren vom Sturm und Drang und der Weimarer Klassik über Nationalsozialismus, 68er Generation RAF und deutschem Herbst bis ins Heute. Nur gibt es sie eben nicht mehr diese Überväter und verhinderten Söhne. Jetzt sind alle nur noch Nachahmer und 15 min. Berühmtheiten? Jeder der sich auf eine Bühne stellt, ist gezwungen, das Rad ständig neu zu erfinden, das hat so ähnlich auch schon Rene Pollesch im Perfekten Tag festgestellt.
Andcompany&Co parodieren das bis hin zu Peymann-, Meese-, Bleibtreu- oder Schlingesiefverweisen mit ALS-Quiz. Man muss das Rad nicht mehr neu erfinden, es ist alles schon mal da gewesen und wartet nur auf seine Reproduktion. Lenz`ens Albtraum des sich vom Vorbild befreienden Kunstwerks dient hier nur als Aufhänger für eine wunderbare Eseley des schönen Scheins. Gut geskizzen ist manchmal auch wie gemohlt. Übrigens macht das Ganze auch ohne das nötige Insiderwissen Spaß und wem das all zu süßlich gerät, man muss ja die Bonbons nicht annehmen, wenn man schon zu viel vom Braten genossen hat.

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Der Wahnsinn lauert im Buchstaben-Gebüsch

Maria Berentzen, Westfälische Nachrichten, 2011-12-14

Würde das Gebot der Stunde lauten, „Tu, was du willst – nur langweile mich nicht“: Die Truppe von „andcompany&Co.“ wäre ganz vorn dabei. Denn sie punktete bei der neuen Produktion wieder mit frischenIdeen, dramaturgischen Innovationen und überraschenden Wendungen.

Mit einer großen Portion Respektlosigkeit vor Schriftstellern und literarischen Figuren ging „andcompany&Co.“ das Stück „Pandämonium Germanicum: Lenz im Loop“ jetzt im Pumpenhaus an. Die erste Überraschung: die Bühne auf der Bühne auf der Bühne – diese Verschachtelung, inklusive doppeltem Vorhang und Goldrahmen, bricht mit den Erzählebenen. Denn im Stück trifft der Sturm-und-Drang Schriftsteller Jakob Michael Reinhold Lenz auf Goethe, der es seinerseits nicht nur mit Büchners Lenz-Figur, sondern mit Schiller, Herder, Lessing, Hauptmann, Shakespeare und Christian Kracht zu tun bekommt. Apropos Kracht: Auch auf der Bühne kracht es, etwa wenn Lenz mit Schreibfedern übers Gebirge schwebt und sich mit einem riesigen Buch duelliert, das ihn schließlich auffrisst.

„Wir wollen alle Künstler sein“, fordert die Truppe auf der Bühne in Beuys Manier. Doch der Wahnsinn lauert hier hinter jedem Gebüsch – das gilt auch für Vesper, Schriftsteller aus dem RAFUmfeld: Im LSD-Wahn bedrohen ihn bald riesenhafte Buchstaben, streicheln ihn Waldwesen, während die barocke Spinett-Musik ins Wüst-Elektronische kippt. Der Zuschauer ist gefordert, um bei den Anspielungen auf Kleist, Baader, Bleibtreu, Schlingensief und Co. nicht den Überblick zu verlieren. Statt klarer Handlung setzt das Stück auf Humor, wenn zum Beispiel die „Wieland- Kommune“ ausgerufen wird oder Goethes letzte Worte („mehr Licht“) zum hessisch gebabbelten „mer licht hier nich schlecht“ verballhornt werden.

„Wider die Zitathatz im Theater“ hatten „andcompany&Co“ noch zu Beginn verkündet. Doch zu keinem Zeitpunkt legte sich der ungestüme Wust der Anspielungen zu schwer auf das Stück. Das Publikum im Pumpenhaus dankte mit reichlich Applaus.

Mehr

"Pandämonium Germanicum - Lenz im Loop" im HAU 2

Patrick Wildermann, Tip Berlin

Die andcompany bringt im HAU den Sturm-und-Drang-Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz und Bernhard Vesper zusammen.

Es hat mit beiden kein gutes Ende genommen. Nicht mit Bernward Vesper, Sohn eines Nazi-Dichters, der als Ex-Freund von Gudrun Ensslin an der Peripherie der RAF herumgeisterte, zu viele Drogen schluckte und sich 1971 in der Psychiatrie das Leben nahm. Der Nachwelt hinterließ Vesper ein genialisches Abrechnungspamphlet ("Die Reise"). Und auch nicht mit Jakob Michael Reinhold Lenz, dem Sturm-und-Drang-Dichter und Jugendfreund Goethes, der unter schizophrenen Schüben litt, unbehaust umherirrte und schließlich vergessen auf den Straßen Moskaus verhungerte.
Die jüngste Produktion des Berliner Performance-Kollektivs and­company&Co. ("Pandämonium Germanicum – Lenz im Loop") fragt, was diese irrlichternden Grenzgänger-Existenzen miteinander zu tun haben. Andcompanys Forschungs­methode ist die forcierte Assoziationen-Beschleunigung. Lenz als romantisch verkitschten Stellvertreter für Genie- und Wahn-Ideen zu lesen, fällt ihnen schon mal nicht ein. "Da manifestiert sich bei Vesper ein ganz anderer, auch drogeninduzierter Wahn", sagt andcompany-Mastermind Alexander Karschnia. Als er vor einigen Jahren angefangen habe, sich über die berühmte Büchner-Erzählung hinaus mit Lenz zu beschäftigen, sei er verblüfft gewesen, "was für einen analytischen Verstand er hat, und was für eine politische Entscheidung es war, zu schreiben, wie er geschrieben hat, und sich nicht anzupassen."

Das Stück von Lenz, die selbstironiesatte Literaturbetriebs-Satire "Pandämonium Germanicum", in der Lenz an der Seite Goethes den "Tempel des Ruhms" erklimmt und allerlei literarische Größen der Zeit parodiert werden, dient den Performern dabei nur als Sprungbrett für den Gedankensalto durch die Zeiten und Zitate. "Ein sehr voraussetzungsreicher Text, den konnten wir natürlich nicht eins zu eins machen", so Karschnia. Stattdessen schreiben sie das "Pandämonium" fort, betten es ein in andere Lenz-Texte, wie etwa die "Anmerkungen zum Theater". Und sie beleuchten den Konflikt mit Goethe, der in das weltgeschichtliche Wendejahr 1776 fiel. Woher dieser Bruch rührte, ist bis heute nicht bekannt, man vermutet, sagt Karschnia, dass Lenz auf einem Maskenball am Weimarer Hof die Etikette missachtet habe, Goethe spricht von "Lenzens Eselei". Sicher, wie Dokumente belegen, trieb man damals derbe, regelrecht sadistische Späße miteinander. Doch während Großbürger Goethe stets wusste, wann es ernst wird mit den Konventionen, ist Lenz offenbar in Sturm-und-Drang-Manier auf die erstarrte Gesellschaft geprallt. Die Folge: totale Isolation. Goethe macht sich zum Weimarer Klassiker, Lenz, dieser frühe Popliterat einer kurzen Ära der Anarchie, lebt als Hippie im Wald.
"Für uns", sagt Karschnia, "geistert er durch die deutsche Literatur und Geschichte wie der Fliegende Holländer."

Die Andockmöglichkeiten sind zahlreich. Wie Karschnia erzählt, schmähte Goethe den Loser Lenz als "Projektemacher" – tatsächlich eine Vokabel aus der damaligen Zeit und der Link zur heutigen Künstlersituation zum Beispiel der andcompany. Mit "Projektemacher" meinte Goethe: Den sich verzettelnden Phantasten, der mit tausend Vorhaben schwanger ging, aus denen aber nichts wurde. "Bei Vesper war es ähnlich: Der hat eine ernorme verlegerische Tätigkeit entfaltet, aber da ist auch viel gescheitert, etwa der Versuch, das Gesamtwerk seines Vaters herauszubringen, noch mit Gudrun Ensslin. Dafür haben sie mit rechtsradikalen Verlagen korrespondiert, während er gleichzeitig schon linke Literatur herausgegeben hat", berichtet Karschnia.

Links, rechts, das sind im andcompany-Kosmos schon lange keine Orientierung stiftenden Koordination mehr. Da treffen, wie in "Mausoleum Buffo" oder "West in Peace", die großen Köpfe der ideologischen Lager zur fröhlichen Culture-Clash-Umarmung aufeinander, da ist es von Karl May zu Karl Marx und von Lenin zu Lennon immer nur eine kurze Drehung. Blitzgescheit sind die andcompany-Produktionen und auf Popdiskurshöhe sowieso. Im Falle ihres "Lenz im Loop" nehmen die Performer etwa Bezug auf einen Text aus Diedrich Diederichsens "Eigenblutdoping". Diederichsen, erzählt Karschnia, hätte grundsätzlich auch gerne etwas zu ihrer Inszenierung beigesteuert. Aber lustigerweise habe er "Pandämonium Germanicum" gerade für sich selbst entdeckt.

Tip Berlin

Fette Braten! Keine Bonbons!

Matthias Weigel, nachtkritik, 2011-01-07

Ich will im Theater nicht zur Zitat-Hatz genötigt werden. Vielleicht hätte sich hier und da noch was erschlossen, wenn ich dies oder das noch erkannt hätte. Aber es ist mir egal. Referenzüberschuss darf nicht unangreifbar machen. Ich will auch nicht dabei zusehen, wie sich die Postmoderne selbst abfeiert. Trash allein ist nun mal Müll und nicht der erlösende Ausweg aus der Theater-Behauptung. Wenn sich ein Mensch auf der Bühne mit Haut und Haaren selbst entäußert, kann es sinnlich, fantastisch, intellektuell, körperlich oder emotional überfordernd sein. Wer es wagt, etwas von sich zu geben, kann möglicherweise gewinnen.

Wenn aber andcompany&Co. in "Pandämonium Germanicum: Lenz im Loop" selbstgefällig ein paar Zitatklumpen aufsagen und den Hipster geben, habe ich das unangenehme Gefühl, uneingeladen auf der falschen Privatparty gelandet zu sein. Wer nichts von sich gibt, hat schon verloren.

Auch Selbstironie kann nicht unangreifbar machen. Die Performer bezeichnen sich gegenseitig als Nachahmer von Meese oder Schlingensief, vor meinem inneren Auge klopfen sie sich kotzbrockig auf die Schulter über den Meta-Meta-Witz. Es ist die andauernde präventive Vorwegnahme möglicher soziologischer Einwände, die zwanghafte Suche, welcher postmodernistischen Kritik man im Vorübergehen noch den Wind aus den Segeln nehmen könnte. Wer so darauf bedacht ist, theoretisch nichts falsch zu machen, macht halt praktisch nichts richtig.

"Pandämonium Germanicum" ist eine traurige theoretische Konsequenz: Korrekterweise kann man schon lange nicht mehr ernsthaft behaupten, es stehe jemand anderes auf der Bühne als man selbst. Man kann aber auch keine neuartigen Aktionen mehr vollbringen, da alles schon dagewesen ist; darüber hinaus stecken wir auch noch fest in dem ganzen Schlamassel, gefangen im eigenen Verstand. Und selbst diese Erkenntnis haben schon Leute wie Pollesch erfolgreich auf die Bühne gebracht!

Bleibt nur die Flucht nach vorne: Man kann ja immerhin noch Pollesch-Zitat werden! Oder das Zitat, wie andcompany&Co. Pollesch zitieren, oder…

So plumpsen diese Kopftotgeburten (u.a. aus Mixen von Lenz und Bernward Vesper, von Georg Büchner und Jochen Distelmeyer) mit ihren Diskurs-Airbags auf die Bühne und haben es nicht mal nötig, sich zu Situationen oder Szenen zu entwickeln, sondern werden einfach runterchoreographiert.

Anstelle eines fetten Bratens wird mir gnädig eine Insider-Andeutung nach der anderen zugesteckt, wie Bonbons, bei übermäßigem Verzehr abführend. Unter der arroganten Gewissheit, eine absolut wasserdichte Diskurs-Folie produziert zu haben, ist das Theater längst im Schlick erstickt. Da erscheint es mir auf einmal so erstrebenswert, sich angreifbar zu machen.

nachtkritik